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Unsere Reise in die Fahrradstadt Amsterdam
Mit unserem Hintergrund in nachhaltiger Städtetransformation ist eine Reise in eine andere Stadt nicht mehr das gleiche wie früher. Auch wenn der primäre Reisegrund vielleicht nicht dienstlich ist, bleibt die Stadtgestalter:innen-Brille immer auf der Nase. Entsprechend haben wir Amsterdam unterwegs unter die Lupe genommen. Die niederländische Hauptstadt hat in nachhaltigen Stadtentwicklungskreisen einen eher positiven Ruf. Erstens gilt Amsterdam als Fahrradstadt und zweitens wird dort seit 2020 an der Gestaltung der Stadt im Sinne des Donut-Ansatzes gearbeitet. Auch wir verwenden in unserer Beratung deren Ansätze, weshalb dies von besonderem Interesse für uns ist. Mehr zum Donut-Konzept findet ihr auf dieser Homepage bei der Beschreibung unserer Ansätze & Konzepte.
Die Fahrradstadt Amsterdam hat mit der gesamten Gemeinde rund 900.000 Einwohnende und gehört damit in Europa zu den größeren Städten. Wie viele größere Städte in Europa bemüht sich Amsterdam um Klimaschutz und Nachhaltigkeit, hat auch noch einen erheblichen Weg bis zur Klimaneutralität vor sich.
Wie Mobilität und Raum gestaltet sein sollten…
In diesem ersten Beitrag fokussieren wir uns speziell auf das Thema der Mobilität. Unsere Gastgeberin, die seit einigen Jahren in Amsterdam lebt, beschreibt die Rangfolge in Amsterdams Straßenverkehr folgendermaßen: „Vorfahrt haben Fahrräder, dann Autos [und Motorräder], dann kommen die Fußgänger:innen“. Und genau das ist in der Stadt spürbar.
Im Idealfall einer nachhaltigen und vor allem menschengerechten Stadt (nach Jan Gehl und anderen) hätten Fußgänger:innen Vorrang. Sie sind die ungeschütztesten ‚Verkehrsteilnehmer:innen‘ (Anmk.: wir halten Fußgänger:innenverkehr für einen unglücklichen Ausdruck), die das Maß für Mobilität und vor allem für Aufenthalt im öffentlichen Raum vorgeben sollten. Generell sollten unsere Straßen und Plätze weniger für maximale Geschwindigkeit im Vorankommen, sondern vielmehr für eine hohe Aufenthaltsqualität optimiert werden. Unser Buchtipp dazu: ‚Movement – How to Take Back our Streets and Transform Our Lives‘ (eng.) von Journalistin Thalia Verkade und Radprofessor Marco te Brömmelstroet
Wenn Fußgänger:innen und v.a. Menschen mit besonderen Mobilitätsbedürfnissen (z.B. im Rollstuhl, mit Gehhilfen, oder auch mit Kinderwägen) das Maß der Dinge sind, werden unsere Städte direkt inklusiver, gerechter und entspannter. Ergänzend schaffen wir adäquate Radwege z.B. für etwas weitere Strecken und für Transporte. Adäquat heißt: breit genug, ohne unnötige Hindernisse, entspannt nutzbar auch für unsicherere Fahrer:innen und mit sinnvoller Verkehrsführung. Ergänzend erfolgt eine passende Gestaltung des öffentlichen Personennahverkehrs und letztlich der Wege für sonstigen motorisierter Verkehr (mit Vorrang für Rettungsdienste, Handwerk usw.) zumindest auf größeren Straßen.
Wir wissen, dass Verkehrsplaner:innen viele Details bei der Umsetzung berücksichtigen müssen. Wir unterstützen mit unserem Know-How, um über klassische Verkehrsplanung hinauszudenken, integrativ und inklusiv zu planen und genügend vorausschauende zielführende Aspekte in der (Vor-)Planungsphase einfließen zu lassen. In gemeinsamer Arbeit mit verschiedenen Fachbereichen und mit unserem Überblick enstehen nachhaltige und resiliente Quartiere und Städte.
… und wie sie selbst in der Fahrradstadt Amsterdam noch besser gestaltet werden können
So viel zur Theorie – nun geht es an den Praxistest: Wir haben uns in Amsterdam ein Leihrad genommen, um unsere Gastgeberin in der Stadt zu treffen. Die Fahrradwege in Amsterdam sind grundsätzlich schon sehr gut (vor allem im Vergleich zu anderen Städten) und sie werden von sehr vielen Menschen genutzt – auch zum Kinder- oder Lastentransport. Allerdings ist der Fahrstil häufig etwas rabiat – genauso wie bei Motorrad- und Autofahrer:innen –, was das Fahren anstrengend macht. Gerade für Menschen, die wie wir die Wege nicht kennen, war dies zusammen mit teilweise unklarer Verkehrsführung belastend. D.h. die Mobilität für Räder ist in der Fahrradstadt Amsterdam bereits überdurchschnittlich gut, dürfte jedoch noch entspannter gestaltet werden mit mehr Rücksichtnahme aufeinander und vor allem mit mehr Raum für Fußgänger:innen.
Wir hatten zudem mit einer kleinen Schwierigkeit mit dem Rad selbst zu kämpfen. Denn bereits an der ersten Ampel stellte sich die Frage: Wie halte ich dieses Fahrrad an? Es hatte nämlich keine klassische Bremse. Nach kurzer Verwunderung fanden wir den Rücktritt, der eine bremsende Funktion hatte. In Deutschland kannten wir diesen nur in Kombination mit zumindest einer Handbremse. Denn der Rücktritt alleine funktioniert leider nur, solange die Füße den Rücktritt bedienen. Sobald mensch sie von den Pedalen nimmt, um richtig stehen zu bleiben, rollt das Rad einfach weiter. Also heißt es: Schnell die Fuße zum Stoppen auf den Boden stellen! Hätten wir das gewusst, hätten wir auf ein Rad mit Handbremse – die es auch zu leihen gibt – bestanden. Also für künftige Besucher von Amsterdam: Achtet beim Ausleihen des Rads auf die Art der Bremse.
Der Rückweg war etwas entspannter durch Tausch des Rads mit unserer Gastgeberin, die Handbremsen am Rad hatte, und dadurch, dass wir nur hinterherfahren und nicht mehr so auf den Weg achten mussten. Sie meinte auch, dass mensch sich an den Fahrstil erst gewöhnen müsse, dann würde es angenehmer werden.
Gute Leihradsysteme gibt es inzwischen übrigens in vielen europäischen Städten: Das ist nicht nur für Tourist:innen und Pendler:innen praktisch, sondern auch für Einwohner:innen, die Transportmittel kombinieren oder spontan ein Rad nutzen wollen. Getestet haben wir die Systeme bereits in Städten wie Paris, Valencia, Wien und mehreren deutschen Städten.
Fazit: Gute Ansätze fürs Radfahren und Luft nach oben bei der Raumgestaltung
Amsterdam hat eine vergleichsweise (sehr) gute Radwegeinfrastruktur und eine breiteres Radnutzungsverständnis. Jedoch wird die Stadt ihre Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele erst erreichen, wenn die Prioritäten wie oben beschrieben praktisch verändert werden und sich auch eine rücksichtsvollere Kultur einstellt. Dazu gehört auch eine deutliche Reduktion des PKW-Verkehrs, der zudem durch das Parken sehr viel Platz einnimmt, genauso wie in anderen Städten auch. Platz für Fahrräder zu schaffen ist ein sehr guter Schritt, von dem sich andere Kommunen noch einiges von der Fahrradstadt Amsterdam abschauen können.
Künftig sollten dort die Strukturen vor allem für Fußgänger:innen noch besser gestaltet werden. Die Aufenthaltsqualität kann durch Verkehrsberuhigung, mehr Sitzmöglichkeiten, mehr Grün, Hitze- bzw. Regenschutz für Fuß- und Radwege, Treffpunkte für Menschen wie Picknicktische und Tischtennisplatten, usw. verbessert werden. Mit der Planung und Umsetzung solcher umfassenden Umgestaltungen, die alle wichtigen Aspekte einer zukunftsfähigen Stadtgestaltung umfassen, unterstützt WeMaCo lokale Akteur:innen.
Insgesamt ist es für Amsterdam und andere Städte wichtig zu erkennen: Eine Verbesserung der Radwege ist ein wichtiger Schritt – ohne ein grundlegenderes Umdenken der städtischen Mobilität und Raumnutzung und ohne einen Kulturwandel zu Nachhaltigkeit und Empathie in der (Stadt-)Gesellschaft ist dies noch nicht ausreichend für eine regenerative und lebenswerte Stadt der Zukunft.