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Einsamkeit ist kein Verschulden der:s Einzelnen, jedoch ein mit Stigmatisierungen besetztes Phänomen.
Rund 40% der Deutschen haben 1-2 enge Freunde und 33% sagen sie haben 3-4 enge Freunde. Immerhin 11% geben an, gar keine engen Freunde zu haben und 13% vertrauen sich niemandem an. Dies sind die Ergebnisse einer Umfrage von Yougov.de im Auftrag der Dt. Presseagentur.
Bei einem Gespräch in der vergangenen Woche mit einer jungen Frau wurde ich erneut aufmerksam auf dieses Thema. Sie erzählte mir, dass es in ihrem Umfeld viele einsame Menschen gibt. Im weiteren Gespräch haben wir uns die Frage gestellt, wie man Personen, die sich einsam fühlen, helfen kann. Dass es bei den älteren Menschen viele einsame Personen gibt, wenn der Partner oder die Partnerin verstorben sind, Weggefährten umziehen oder sterben und die Familie weit weg wohnt oder man einfach das Zuhause nicht mehr verlassen kann, ist bekannt. Bei jungen Menschen vor dem 30. Lebensjahr entsteht Einsamkeit für viele durch die Zeit des beruflichen Umbruchs. Dagegen sind die Symptome der Einsamkeit bei Menschen zwischen 30 und 50 oft durch Sinnkrisen ausgelöst.
Obwohl in diesen Altersklassen so viele Möglichkeiten für Aktivitäten zur Verfügung stehen, spricht die Statistik für sich. Und die Statistik besagt weiterhin, dass mit den sogenannten Freund:innen oder besser freundschaftlichen Kontakten in sozialen Netzwerken nur 4% Prozent ihre Gedanken und Gefühle besprechen.
Gründe für Einsamkeit liegen unter anderem in unserer Gesellschaftsstruktur begründet:
- Unsere Gesellschaftsformen – Ansichten wie: nur Leistung und Erfolg der*s Einzelnen zählt
- Unsere Denkweisen – den, die oder das kenne ich nicht, das lehne ich ab
- Unsere Strukturen – wir leben in kleinen Einheiten (z.B. Kleinfamilie) oder allein
Kann Einsamkeit auch positiv sein?
Zunächst möchte ich noch eine Differenzierung vornehmen. Es gibt viele Menschen, die phasenweise gerne alleine sind und sich dann freiwillig zurückziehen und nicht darunter leiden. Dabei kann dieses Alleinsein selbstnährend und im Sinne einer Erholungsstrategie positiv sein, damit man die Gedanken ordnen oder Kreativität entwickeln kann. Zumeist ist der Begriff jedoch negativ konnotiert im Sinne eines Mangels an Zugehörigkeit bis hin zu sozialer Isolation. Menschen, die sich einsam fühlen, schaffen es kaum einen objektiven Blick auf die Situation zu werfen und suchen oft den Fehler bei sich selbst.
Die aktuell meist verwendete Definition von Einsamkeit begreift diese als eine schmerzvolle und unangenehme negative Erfahrung, die entsteht, wenn das eigenen Netzwerk sozialer Beziehungen in Bezug auf Quantität oder Qualität als unzureichend oder mangelhaft wahrgenommen wird (Luhmann 2022). Fest steht, dass Einsamkeit ein subjektives Empfinden darstellt, das eine Diskrepanz zwischen den gewünschten und bestehenden sozialen Beziehungen eines Menschen bezeichnet. Wir fühlen uns verlassen, isoliert, ausgegrenzt und allein. Und handelt es sich gar um eine länger anhaltende Situation, so kann es sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Einsamkeit ist so vielseitig, wie die Menschen, die sie verspüren, die Ursachen, die sie ausmachen und die individuellen Biografien, die sie formen. Hilfe für Betroffene gibt es bspw. hier.
Einsame Menschen haben häufig Gedanken wie:
- Keiner sieht mich.
- Nie werde ich zu … eingeladen
- Die anderen mögen mich nicht.
- Ich gehöre nicht dazu.
- Die anderen wollen mich nicht dabeihaben.
Bekanntlich beeinflusst unser Denken auch unsere Gefühle und unser Handeln. Wenn jemand also denkt „die anderen wollen mich nicht dabeihaben“, so entsteht ein Gefühl von Ausgrenzung und handelt entsprechend durch Rückzug.
Wie können wir erkennen, ob Personen in unserem Umfeld einsam sind?
Häufige Symptome sind z.B.:
- ungesunde Ernährung und deutliche Gewichtsveränderungen
- Schwierigkeiten im Umgang mit anderen – oberflächliches oder sogar abwehrendes Verhalten in Beziehungen
- Rückzug von gewohnten Routinen
- Vernachlässigung des Aussehens und der Selbstfürsorge
- wenig bis keine Kommunikation mit der Außenwelt
- u.a.
Was sind die unterschiedlichen Ursachen für Einsamkeit?
Faktoren können besondere Lebensereignisse wie die Trennung von einer nahestehenden Person sein oder Rückzug durch gesundheitliche Einschränkungen. Arbeitslosigkeit, genetische Disposition und depressive Störungen sind weitere Ursachen ebenso wie die im Folgenden aufgeführten Persönlichkeitseigenschaften:
- mangelnder Selbstwert
- Unsicherheit
- Angst vor Ablehnung
- negative Gedanken
Darüber hinaus sind Menschen in vulnerablen Lebenssituationen betroffen, unter anderem flucht- und migrationserfahrene Menschen, queere Personen, Alleinerziehende, pflegende Angehörige sowie Menschen mit Behinderung. Hier sind die sprachlichen, körperlichen und zeitlichen Barrieren die Ursachen für Einsamkeit.
Weiteres zu diesem Thema findet sich auf der Seite des Kompetenznetz Einsamkeit.
Die Abwärtsspirale der Einsamkeit
Bei chronischer Einsamkeit geraten Menschen oft in eine Abwärtsspirale aus negativen Gedanken- und Verhaltensmustern, die die Einsamkeit verstärken. Wenn wir uns einsam fühlen, tendieren wir dazu, soziale Begegnungen zu meiden und auch verzerrt wahrzunehmen. Wir fühlen uns durch Äußerungen oder Handlungen unserer Mitmenschen abgelehnt oder negativ bewertet, auch wenn diese das gar nicht so gemeint haben, und erinnern uns vor allem an diesen (einen) Aspekt einer Begegnung. Ein Problem an der Einsamkeit ist, dass wir uns als Reaktion darauf weiter zurückziehen oder uns feindselig verhalten, was dazu führt, dass uns unser Umfeld plötzlich tatsächlich negativ wahrnimmt. Die Folge: Das Umfeld wendet sich ab. Dies verstärkt wiederum die Einsamkeitsgefühle, wir fühlen uns hilf- und wertlos.
Wir schauen uns das hier an einem Beispiel an:
Person A ist neu in einem Job und gerade in eine neue Stadt gezogen. Auf der Arbeit hört sie die Kolleg:innen sprechen und sich für den Abend verabreden. Da sie nicht angesprochen wird, denkt sie „Ich bin nicht willkommen, weil ich…bin“. Hier sind viele denkbare Einschiebungen vorstellbar. …unattraktiv, …dumm, …älter, …nicht unterhaltsam usw.
Es ist die persönliche Sicht auf die Dinge und sich selbst von A. Die Gruppe der Kolleg:innen wurde von A. bisher nicht angesprochen und ging davon aus, dass kein Interesse besteht oder die Gruppe hat gar nicht daran gedacht und hätte sich über die offene Ansprache von A. gefreut. A. kommt aufgrund des Verhaltens der Gruppe in eine negative Gedankenspirale und findet im Laufe der Zeit immer mehr „Beweise“ für diese Annahme. Beim nächsten Mal wird A. angesprochen und reagiert dann trotzig und lehnt ab. Danach wird A. auch von der Gruppe nicht wieder angesprochen.
Um aus einem solchen Teufelskreis selbst auszusteigen, benötigt es Kommunikation und den Mut und das Vertrauen in sich und die anderen Menschen.
Wie wir im obigen Beispiel gesehen haben, liegt eine wesentliche Ursache für die Einsamkeit im eigenen Denken. Denn wenn wir gefühlt niemanden haben, mit dem wir unsere Gedanken und Gefühle teilen, dann fördert dies die Einsamkeit. Manche Menschen neigen in dieser Phase sogar zu Überheblichkeit und Arroganz, um von mangelndem Selbstvertrauen abzulenken. Bei zaghaften Versuchen, die beim Gegenüber nicht als gewünschte Kontaktaufnahme verstanden werden, kommt es zu Absagen und in der Folge zu weiterer Unsicherheit.
Solange der einsame Mensch nicht schon in eine Depression abgerutscht ist und nur noch therapeutische Angebote helfen, können wir gemeinsam als Gesellschaft viel dagegen unternehmen, dass es nicht so weit kommt.
Was können WIR unternehmen?
An dieser Stelle folgt kein Ratgeber, was der:die Einsame tun könnte, sondern wir skizzieren wie wir als Umfeld und Gemeinschaft die vielen Vereinsamten wieder in unsere Mitte holen. Explizit meine ich wirklich unternehmen im Sinne von co-kreativen Aktionen. Wir als Gesellschaft, und das ist uns ein Anliegen bei WeMaCo, müssen in Zukunft wieder lernen zusammen zu leben. Urbane und persönliche Transformation haben wir bewusst mit unserem zentrierenden Gedanken vom Ich zum Du zum Wir gefüllt. Wir betrachten Transformation systemisch.
Neben der Möglichkeit z.B. Coachings und Workshops anzubieten, können wir einsamen Menschen niedrigschwellige Angebote machen, damit sie sich aus ihrer Isolation befreien können und wieder das Gefühl von Gebrauchtsein, ein Teil der Gemeinschaft zu sein, bekommen. Mit diesem gestärkten Gefühl werden sich auch die Gedanken verändern. Mensch denkt: „Ich bin etwas wert in dieser Gesellschaft“ und „Ich habe wieder neue Beziehungen gefunden“ oder sogar „Ich werde gebraucht und kann einen Beitrag leisten“. Was meinen wir mit niedrigschwelligen Angeboten?
Stell dir vor…
…vor deiner Tür findet ein Straßenfest statt.
…in deinem Wohnblock werden in einem Gemeinschaftsraum kostenlose Spieleabende, gemeinsames Kochen o.ä. angeboten.
…es gibt einen Gemeinschaftsgarten, bei dem du mitwirken kannst.
…wir organisieren Vorlese- oder Musizierabende in der Nachbarschaft.
…sportliche Aktivität findet im Stadtpark für Interessierte statt.
…du kannst Sprachunterricht im Tausch für z.B. Kinderbetreuung anbieten.
Was kannst du dazu beitragen?
Viele dieser Dinge gab und gibt es bereits und hat schon viele Menschen zusammengebracht und auch aus der Einsamkeit geholt. Übernimm jetzt das Steuer und überwinde den Prozess des Denkens und komme ins Handeln. Jede:r Einzelne von uns, kann hier seinen Beitrag leisten und dazu benötigst du lediglich den Willen und die Offenheit deinem Umfeld gegenüber. Jede Veränderung bedeutet eine Chance. Lasst uns für eine nachhaltige gemeinschaftliche Zukunft alte bewährte Gepflogenheiten wiederentdecken und mit neuen Ideen und Visionen in die Zukunft projizieren. Überwinde den Schweinehund der Bequemlichkeit.
Beginne in deinem Freundeskreis zu überlegen, was niedrigschwellige Angebote sein könnten. Bedenkt hier, dass es zu Beginn klein starten kann, damit der Samen nicht gleich mit zu viel Energie wieder zertreten wird. Mache die geplante Aktion bekannt durch Aushänge, so dass auch dein direktes Umfeld davon erfährt. Lass dein Pflänzlein wachsen und hole dir Mitstreiter:innen in den „Garten“, damit die Pflege (weitersagen, aushelfen, mitmachen) auf mehrere Schultern verteilt wird. Unter dieser Adresse besteht ein Netzwerk, bei dem Akteur:innen zusammengebracht werden.
WIN WIN für alle
Bestenfalls trägst du zur Gesundung deines Umfeldes bei, erfährst ein Geben und Nehmen und erreichst dadurch, dass deine Mitmenschen teilhaben und neue soziale Kontakte knüpfen können und startest damit das Gegenmittel von Einsamkeit: Die Freundschaft!
Bildquellen: goodinteractive auf Pixabay, von John Hain auf Pixabay, Gerd Altmann auf Pixabay