Inhalt
Persönliche Entwicklung durch die Energie der Menge
Vor kurzem war ich (Cathérine) auf einem viertägigen Seminar namens „Unleash the Power within“ von Tony Robbins, der der vielleicht bekannteste Coach der Welt ist. Tony gibt seit über 40 Jahren Seminare für persönliche Entwicklung, bei denen sehr viele Menschen zusammen kommen. In meinem Fall waren über 13.000 Menschen in Köln gemeinsam in der Lanxess Arena, plus weitere tausende Menschen, die virtuell zugeschaltet wurden. In einem etwas kleineren Rahmen habe ich bereits früher die deutschsprachigen Seminare von Christian Bischoff besucht, die mich sehr vorangebracht haben.
Es gibt noch viele andere Coaches* (damit meine ich Menschen aller Geschlechter), die kleinere und größere Veranstaltungen mit verschiedenen Schwerpunkten anbieten (in Präsenz und/oder digital) und die, je nach persönlicher Situation und Vorliebe, für persönliche Entwicklung hilfreich sein können. Damit möchte ich sagen, dass dies keine explizite Empfehlung für die genannten Menschen ist. Vielmehr bezieht sich meine Reflexion und Analyse auf die Erfahrung, die ich mit ihren Angeboten gemacht habe.
Der Vorteil von (größeren) Veranstaltungen für persönliche Entwicklung liegt im Vergleich zu Selbstlernen, Einzelcoaching und Kleingruppen – die ich alle ebenfalls für sehr wertvoll erachte! – für mich darin, dass eine Menge an Menschen eine unglaubliche (positive) Energie freisetzen kann. Der Motivationsschub, sich gemeinsam mit vielen anderen weiterzuentwickeln und neue Wege zu gehen, ist besonders und lässt sich kaum beschreiben, wenn mensch das selbst noch nicht erlebt hat. Wenn der ganze Raum mit liebevollen und dankbaren Menschen erfüllt ist, hat dies eine wahnsinnige Kraft und das Energiefeld ändert sich merklich. Das gibt mir Hoffnung für die Welt. Am ehesten ist die Dynamik vielleicht mit einem guten Konzert vergleichbar, nur dass es hier nicht um (eher passiven) Musikkonsum geht, sondern um die Gestaltung des eigenen Lebens durch Reflexion, Austausch, Lernen und Aktivitäten mit der Gesamtgruppe.
Gegenseitige Unterstützung für die persönliche Entwicklung
Zudem können durch Veranstaltungen für persönliche Entwicklung leicht direkt auf tiefgründige Weise andere Menschen kennengelernt werden, die auch über die Veranstaltung hinaus das eigene Leben wahnsinnig bereichern. Darüber allein könnte ich einen kleinen Roman schreiben. Diese Menschen helfen unter anderem, die auf der Veranstaltung gewonnene Klarheit, die Motivation sowie die gefassten Vorsätze langfristig umzusetzen und nicht nach dem ‚Seminar-Rausch‘ wieder direkt in alte Muster zurückzufallen. Es sind Menschen, die verstehen, was du dort erlebt hast, dass du im Leben wachsen willst und die dich motivieren, deine Träume zu realisieren.
Denn wenn du dich auf ein solches Event für persönliche Entwicklung einlässt, wirst du verändert nach Hause zurückkommen. Je nach eigenem Umfeld wird es häufig nicht uneingeschränkt positiv aufgefasst, wenn du dich nun anders verhältst oder die Welt auf einmal neu betrachtest. Diese Kraft der Gruppe und der hilfreichen Unterstützung unter Gleichgesinnten haben wir auch während und nach unserer eigenen CREATE Convention bemerkt.
Um ein konkretes Beispiel zu geben: Vielleicht hast du im Rahmen des Seminars an deinen Glaubenssätzen zu Selbstwert, Ernährung und Gesundheit gearbeitet und möchtest nun beispielsweise aufhören zu rauchen, weniger Alkohol zu trinken oder dich gesünder zu ernähren. Nun kann dir dein Umfeld den Vorsatz etwas erschweren, wenn es dich nun für eine Spaßbremse hält und dich immer wieder auffordert, doch wieder zur Zigarette, zum Wein oder zum Kuchen zu greifen. Menschen mögen es nicht immer, wenn Menschen, die ihnen scheinbar bekannt sind und bisher ähnlich gehandelt haben wie sie, dies auf einmal nicht mehr tun.
Um deine neue Angewohnheit für Gesundheit nun stabil aufrecht zu etablieren, darfst du dich davon nicht abhalten lassen und dir hingegen unterstützende Stimmen suchen, denen es vielleicht daheim genauso ergeht.
Hilfreiche Tools für eine neue Welt auswählen
Menschen wie Tony Robbins und sein Zirkel sind zweifellos extrem erfolgreich und wohlhabend. Sie haben die Regeln unseres aktuellen Systems gemeistert und sind darin Top-Performer. Meiner Einschätzung nach liegt es ihnen wirklich am Herzen, dass es anderen Menschen im Leben besser geht. Sie wollen mit ihren eigenen Erkenntnissen und ihrem Wirken dazu beitragen. Sie scheinen mir wirklich gute Intentionen zu haben. Für Geld müssten sie schon lange nicht mehr arbeiten. So oder so kann ich in niemanden hineinschauen und möchte auch keine Verhaltensweisen oder Charaktere bewerten. Nun kam ich während des Seminars nicht umhin, die getätigten Aussagen mit dem abzugleichen, wie ich mir eine regenerative ’neue‘ Welt vorstelle.
Wie alle Coaches sagen, blicken wir unterschiedlich auf die Welt, je nach dem, wie unsere Prägungen und Einstellungen sind – quasi durch welche Brille wir schauen. Keine dieser Brillen zeigt die einzig wahre Wahrheit wodurch kein Mensch allgemeingültig recht hat. Von daher ist meine Vorstellung nicht richtiger als die der Coaches oder anderer Menschen.
Bevor ich auf die Diskrepanzen zwischen Inhalten des Seminars und meiner Vorstellung eingehe und erläutere, weshalb ich eine Hinterfragung des beim Seminar Erlernten für wichtig erachte, möchte ich jedoch auf den Wert der Veranstaltung eingehen.
Bei diesem Event für persönliche Entwicklung (wie auch bei anderen) habe ich viel Energie und Motivation gesammelt, um in meinem Leben genauer hinzuschauen und zu sehen, wo ich Dinge zum Wohle der Gemeinschaft sowie für mein eigenes Leben – was immer miteinander verbunden ist – besser machen kann. Ich bin mir meiner eigenen Größe wieder stärker bewusst geworden und das meine ich nicht im ‚Ego‘-Sinn, sondern im spirituellen Sinne in Bezug auf mein höheres Ich (es kann auch das Bewusstsein, Gewahrsein, allumfassende Energie oder göttlicher Funken o.ä. genannt werden).
Ich habe erkannt, wo ich zum Nachteil aller noch unter meinen Möglichkeiten lebe und mich von Glaubenssätzen, Werten und Regeln begrenzen lasse. Gleichzeitig habe ich wieder erlebt, zu welchen erstaunlichen und wundersamen Dingen Menschen fähig sind. Ich habe mehr Verständnis und Wertschätzung für die Menschen und Umstände in meinem Leben gewonnen und eine große Dankbarkeit für das Wunder meines Lebens sowie für alles, was ich bisher erlebt habe, gespürt und mitgenommen. Daher bin ich voller Dankbarkeit für alle Menschen, die an dieser Veranstaltung für persönliche Entwicklung gearbeitet haben, sowie für die Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich daraus mitnehmen konnte.
Mir ist es wichtig, beim Besuch solcher Veranstaltungen zu beachten, dass eben auch die Coaches und Speaker ihre eigene Brille haben und ihre Anregungen entsprechend ihres eigenen Weltbildes geben. Vor dem Hintergrund unserer produktivitätsorientierten Gesellschaft halte ich es für wichtig, bei Ansätzen für persönliche Entwicklung genau zu differenzieren, wo sie zu (übertriebener) Selbstoptimierung führen und wo sie zum Wohle der eigenen Person und des Großen Ganzen hilfreich sind, indem sie beispielsweise zur Heilung beitragen. Meistens verläuft diese Linie eher flüssig und es kommt auf die genaue Umsetzung an. Daher ist keinesfalls alles zu verwerfen, was bei solchen Events gelehrt wird. Im Gegenteil: Ich denke, dass wir zum Teil mit dem gewünschten Wandel zu einer ’neuen‘ Welt nicht so richtig vorankommen, weil wir dazu neigen, alles von der ‚alten‘ Welt, inklusive erfolgreiche Menschen, schlecht zu finden. Dies verkennt jedoch, dass nicht alles ’schlecht‘ ist und verbaut uns die Chance, das daraus Hilfreiche für unsere Wirkung zu nutzen.
Beispielsweise kann ich mit einem ethisch gestalteten Marketing – bei dem ich von bisher erfolgreichen Marketing-Maßnahmen lerne und schaue, welche davon ich für eher manipulativ und welche für vertretbar halte – auch Menschen mein Herzensprojekt für eine schönere Welt näher bringen. Marketing ist nicht grundlegend schlecht; wir Menschen werden immer Informationen über Angebote weitergeben und andere zu etwas motivieren wollen, was uns wichtig ist. Es kommt dabei auf das ‚Wie‘ an. Wenn wir Marketing jedoch mit negativen Glaubenssätzen wie Gier verknüpfen, verlieren wir die Möglichkeit, vernünftige Ansätze für eine positive Wirkung zu nutzen. Im Extremfall ‚gewinnen‘ dann immer die Skrupellosen, weil sie die Tools so oder so einsetzen werden.
Zur Beschreibung wie uns ein Übergang von der ‚alten‘ Welt der Getrenntheit in eine ’neue‘ Welt der Verbundenheit auf eine integrative Weise gelingen kann, empfehle ich gerne die Texte von Charles Eisenstein (v.a. das Buch: „Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich„).
Heilung statt Optimierung, Gemeinschaft statt Hyperindividualismus
Während ich Motivation und Schwung und neue Energie beim Seminar getankt habe, bin ich gleichzeitig immer wieder an Punkte gestoßen, die nicht zu meiner Vorstellung der schöneren Welt und des Weges dahin passen. Es gab zum Beispiel eine Rede von einer Frau, deren Leistung ich bewundere. Ich stimme ihr zu, dass wir mehr unserem inneren Wissen folgen sollten, anstatt uns von der Meinung oder Ablehnung der Menschen um uns herum beeinflussen zu lassen. Sie hat Kosmetika für Menschen mit Hauterkrankungen entwickelt, da konventionellen Produkte häufig nicht geeignet sind – eine Erkenntnis, die sie aus eigener Erfahrung gewonnen hat.
Nun mögen Kosmetika helfen, dass Menschen sich erstmal überhaupt wohl genug fühlen, um bei solchen Erkrankungen aus dem Haus zu gehen. Ich weiß aus eigener Erfahrung nur zu gut, wie es ist, sich unwohl in der eigenen Haut zu fühlen. Nur stimmt es mich traurig, dass wir damit auf die Behebung oder Überdeckung des Symptoms fokussieren statt auf die Heilung der Ursache (hier die Heilung der Ursachen der Erkrankung) und dass Menschen (v.a. Frauen*) überhaupt meinen Kosmetika zu brauchen, weil sie sich häufig nicht trauen, natürlich (schön) aus dem Haus zu gehen, ob mit oder ohne Hautkrankheit.
Die Optimierung der eigenen Performance und des persönlichen Wohlbefindens im Rahmen eines (hyper-)individualistischen Weltbildes kann dann auch zu Aussagen führen, wie das arme Menschen nicht verstünden, weshalb reiche Menschen eine Yacht haben. Diese sei dazu da, um die eigenen Freunde einladen zu können. Ich sehe mich nicht als arm an (wäre das vielleicht in den Augen der Person, die das gesagt hat) und dennoch verstehe ich mit meinem Wertekonstrukt wirklich nicht, weshalb die Freund*innen nicht genauso gut nach Hause oder in den Park eingeladen werden können, anstatt auf ein großes privates Schiff. Zudem besteht damit m.E. leicht eine große Verhaftung im Materialismus, der missachtet, wie viele Ressourcen für so ein freundschaftliches Treffen auf der Yacht benötigt werden. Damit sage ich nicht, dass ich recht habe, nur dass ich es mit meiner Brille nicht verstehe.
Die Erde weint bereits laut genug, weil das (v.a. westliche) individualistische kapitalistisch-patriacharle System so viel Trennung, Ausbeutung und Leid (neben seinen positiven Auswirkungen) hervorbringt. Während ich nicht für krampfhafte Minimierung des eigenen Fußabdrucks bin, gibt es für mich doch eine gewisse Verhältnismäßigkeit zu wahren. Im Globalen Norden leben wir alle seit langer Zeit mehr oder weniger stark auf Kosten des Globalen Südens und anderer unterdrückter Gruppen, auch wenn es schmerzlich ist das einzugestehen und ich dafür noch keine umfassende Lösung weiß.
Die Anerkennung und Heilung dieses Schmerzes und weiterer kann ganz neue Ebenen des gemeinschaftlichen Wirkens und der Verbundenheit schaffen. Hierzu lese ich gerade das wunderbare Buch „Aktivismus heißt Verbindung – Indigene Weisungen zur Heilung der Welt“ von Sherri Mitchell, das ich allen empfehle. Sie beschreibt auf ihre Art genau die Punkte, die mich beim Seminar von Tony Robbins & Co sowie weiteren Performance-orientierten Coachingveranstaltungen innehalten und Distanz einnehmen lassen. Wir sollten unseren Schmerz annehmen und heilen, damit wir nicht ewig im Trauma verhaftet bleiben und uns weiter selbst sowie gegenseitig verletzen, wie Sherri erläutert. Bei Tony wäre der Fokus stärker darauf, direkt in einen positiven Zustand zu kommen, sich gut zu fühlen und beschwerende Glaubenssätze aufzulösen.
Ich denke, dass in einer komplexen Weltsicht – die es schafft Dualitäten zu integrieren und durch Einssein zu überwinden – Raum für beides gibt. Die Annahme und Heilung des Schmerzes kann uns miteinander verbinden und befreien. Gleichzeitig können wir Ansätze wie die, die u.a. Tony erklärt, nutzen, um nicht bei jeder Kleinigkeit, die uns gerade im Leben nicht so passt oder triggert, in Angst, Trauer oder Wut zu versinken. Sowohl die Heilung von Schmerz als auch das aktive Anstreben eines positiven (Gefühls-)Zustands kann Energie freisetzen und uns helfen, positive Wirkung in die Welt zu bringen. Nichts ist nur schwarz oder weiß. Verschiedene Ansätze haben für unterschiedliche Situationen ihre Berechtigung. Von daher können wir auch von allen Menschen lernen, von Tony und Co. genauso wie von Sherri und Charles. Es obliegt uns selbst, womit wir uns befassen und was wir aus den jeweiligen Lehren ziehen – sie entstammen alle einer eigenen Brille.
Durch persönliche Entwicklung in die eigene Fülle kommen
Wir können alle in Fülle leben oder Lösungen finden, wenn wir unsere häufig mangel- und problemorientierte Einstellung ändern. Für solche Veränderungen und die entsprechende persönliche Entwicklung können Seminare helfen. Für mich ist es nur dabei wichtig zu hinterfragen, was wir unter Fülle verstehen und wie viel Geld und Materielles dafür tatsächlich nötig ist. Geld kann uns die Freiheit geben, um zu arbeiten, was wir wirklich wollen, statt nur das, was wir zum Überleben brauchen. Es eröffnet uns die Möglichkeit, schöne Erfahrungen zu sammeln. Für vieles, was wir uns für ein gutes Leben wünschen, ist jedoch nicht immer viel Geld erforderlich. Zum Beispiel kann ich mir durch gemeinschaftliches Gärtnern genauso gesunde Lebensmittel leisten wie durchs Kaufen von Biolebensmitteln im Laden. Inzwischen gibt es viele real-utopische Praktiken für eine regenerative Lebensweise. Am Ende können wir das Wertvollste im Leben sowieso nie mit Geld kaufen: die Liebe zu allem.
Jeder Mensch kann daher selbst sehen, worin für ihn*sie selbst Fülle und ein wirklich gutes Leben besteht. Dies kann mit persönlicher Entwicklung und vor allem mit mehr Bewusstheit klarer werden. Denn nur mit Bewusstheit können wir über unsere Ego-Limitierungen, Ängste und gesellschaftlichen Konditionierungen hinausschauen, uns mit anderen wahrhaft verbinden und erkennen, was hinter all den Kulissen wirklich zählt. Dies ist ein stetiges Lernen im Laufe des Lebens.